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Keinen Bock mehr auf dein altes Leben? Kauf dir ein Neues! Sinnfindung in Brandenburg

Dieser pragmatische Ansatz wird in dem in diesen Tagen im dtv-Verlag erschienenen Roman „Das gekaufte Leben“ von Tobias Sommer gelebt. Kurz zusammengefasst: Der Roman hat mich absolut begeistert!

Zur Story: Clemens Freitag hat schon früh seine Eltern durch einen Autounfall verloren. Der Schmerz darüber begleitet ihn noch heute. Er hat weder das Erbe angerührt, noch den von den Eltern als Lebenselixier gesehenen Schrebergarten gekündigt. Beruflich geht gerade gar nichts und seinen Freunden und Bekannten schuldet er den einen oder anderen Euro. Gründe genug also, einen kompletten Neustart in Betracht zu ziehen. Als er auf einer Internetauktionsplattform die Gelegenheit erhält, das komplette Leben eines anderen zu ersteigern, bietet er kurzerhand mit – und bekommt den Zuschlag für nur 250000 Euro. Nur mit einem Koffer bewaffnet reist er in die ostdeutsche Provinz, wo ihn seine neuen Nachbarn schon freudig erwarten. Er kann es gar nicht fassen: Ein hübsches Haus mit Seeblick, ein Boot, ein Ferienhaus; ein SUV; quasi alles was das Herz begehrt ist mit einem Schlag seins. Und auch die Dorfgemeinschaft nimmt ihn herzlich auf. In seinem neuen Job hat er eine nette Kollegin und kümmert sich um das Beschwerdemanagement eines Versandhandels für Angel- und Jagdbedarf. Alle Probleme scheinen gelöst und er Sinn des Lebens scheint gefunden, aber ist das nicht zu schön, um wahr zu sein? Schnell bröckelt die perfekte Fassade und Freitag fängt an über seinen Vorgänger zu recherchieren. Wieso gibt man etwas so Perfektes einfach auf und begibt sich auf eine Weltreise? Ist wirklich nur die gescheiterte Ehe für die Flucht verantwortlich oder warum sucht Götz Dammwald den Sinn des Lebens in der großen, weiten Welt? Hat die Dorfgemeinschaft ein gemeinsames Geheimnis?

Tobias Sommer: Das gekaufte Leben, dtv-Verlag, erschienen am 16.02.22, 22 Euro, 335 S., ISBN 978-3-423-28997-9

Das gekaufte Leben hat mir sehr gut gefallen. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Die Geschichte um Clemens Freitag ist derartig spannend geschrieben, dass ich immer nur wissen wollte, wie es ausgeht. Der Kontrast zwischen dem Leben von Freitag am Anfang des Buches zu dem „gekauften Leben“ könnte größer nicht sein. Man sieht den Protagonisten quasi vor sich: Eine Ein-Zimmer-Wohnung in einer Plattenbausiedlung in Berlin und nie genug Geld, um am nächsten Tag einkaufen gehen zu können. Die Freunde kann er kaum noch treffen, weil alle die geliehene Kohle zurückhaben wollen. Freunde und Bekannte sind im Job erfolgreich und haben eine Familie gegründet und den Sinn im Leben offenbar gefunden, nur Freitag sitzt allein da und hatte schon lange kein Date. Der Verlust der Eltern jährt sich zum zwanzigsten Mal und ist nach wie vor nicht verarbeitet. Mit dem Geld aus dem Erbe hätte Freitag die ganzen Jahre über schon ein gewisses Polster gehabt, aber er es war ihm nicht möglich es anzurühren. Der Schrebergarten, den seine Eltern gehegt und gepflegt hatten, weil er ihr kleines Paradies gewesen ist, liegt brach, wird aber trotz der prekären finanziellen Lage weiterhin von Freitag finanziert. Und dann kommt er plötzlich quasi ins Paradies! Knall auf Fall hat er alles, was das Herz begehrt! Aber kann er darin den Sinn des Lebens finden? Und was ist der Preis hinter dem Preis, den er noch zahlen muss? Insofern wirft der Autor auch die Frage nach dem eigentlichen Sinn des Lebens auf. Was macht uns eigentlich glücklich? Die Gier nach Perfektion und dem „Sich alle Wünsche erfüllen wollen“ führt hier in einen Abwärts-Strudel, der dem Verkäufer nur die Flucht in die weite Welt lässt. Und doch begegnet einem gerade diese perfekte Welt tagtäglich auf Instagram. Jeder scheint in der perfekten Figur, den perfekten Freunden und den perfekten Immobilien den Sinn zu finden. Und wo es noch nicht perfekt ist, wird die Herstellung der Perfektion in einzelnen Schritten dokumentiert. In genau diesem perfekten Setting findet sich Freitag also wieder und ist zunächst auch sehr zufrieden und happy damit. Erst als sich zeigt, dass es eine Geschichte hinter der Geschichte gibt, kommen ihm Zweifel und er begibt sich auf eine Kurzreise zurück in seine Kindheit. Erinnerungen an Kindergeburtstage werden wach und an glückliche Tage mit zufriedenen Eltern im Schrebergarten. Offenbar waren das bescheidene Menschen, die in kleinen Dingen ihr Glück und ihren Sinn gefunden haben. Ausgerechnet auf dem Weg in den Dänemarkurlaub sind sie tödlich mit dem Auto verunglückt. Eine Message, die zum Nachdenken anregt. Ein Buch, das gelesen werden muss!

Tobias Sommer wurde 1978 geboren und lebt mit seiner Familie in Bad Segeberg. Er hat bereits Lyrik und Prosa veröffentlicht und wurde 2014 für den Bachmann-Preis nominiert und hat den Hamburger Literaturförderpreis gewonnen.

Hier einige weitere Veröffentlichungen (Einzelpublikation) von Sommer:

Als Clemens Freitag in seinem gekauften Leben ankommt, gehen die Impulse sich mit den Zielen und Wünschen an sein eigenes Leben auseinanderzusetzen, erst einmal von den Eindrücken im „neuen Leben“ und dem Kontrast zum „alten Leben“ aus. Und warum verkauft jemand Haus, Auto und alles für 250000 Euro? Worin findet man hier den Sinn? Liegt hier noch eine Leiche im Keller? Ist er in einer Reality Show gelandet? Was macht das „alte“ Leben aus und was das „Neue“? Ist mein Haus, mein Auto, meine Frau das Ziel, also ist das Leben eine to-do-Liste, die man abhakt und nach dem letzten Haken abdankt? -Im „neuen“ Leben angekommen sieht Clemens schnell, dass nicht alles perfekt ist im neuen Leben. Den Nachbarn misstraut er teilweise, es gibt den Verdacht, dass eben doch eine Leiche im Keller liegt, die er nun mitgekauft hat. Und so beginnt für ihn eine spannende Reise, in der er gleich zwei Leben neu entdeckt und bewertet, sein altes und sein neues. Zugeschüttete Gefühle und Erinnerungen an seine Eltern und seine Kindheit kommen auf. Die Eltern, die ohne große finanzielle Spielräume immer versucht haben, ihm eine schöne Kindheit zu bereiten. Eine Kindheit, in der der Berliner Schrebergarten eine wichtige Rolle spielte. Und auch das abrupte Ende der Familie, als die Eltern auf dem Weg nach Dänemark bei einem Autounfall sterben und er von einem Tag auf den anderen allein übrigbleibt. Und so bekommt der Leser auf vielfältige Art und Weise Gelegenheit, sich über sein eigenes Leben Gedanken zu machen und sich zu fragen, welchen Sinn sucht man eigentlich. Wo möchte ich hin? Was sind meine Ziele? Was ist bisher in meinem Leben passiert? Wer sind ist wichtig für mich in meinem Leben? Ein spannender Roman mit tiefgründiger Message, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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